DAS MÄRCHEN VOM SCHLAURAFFENLAND Poem by Ulrike Almut Sandig

DAS MÄRCHEN VOM SCHLAURAFFENLAND

guten Abend, Deutschland, schalt die Nebelleuchten ein
wir bemühen uns um Klarsicht und erkennen:

wer zu dir will, muss durch einen Kuchen sich fressen
der nicht in den Hausmärchen steht

wer wieder hinaus will, ist schneller draußen
vor der Tür, als ihm ein Wort mit vier Silben einfällt

sag einfach dreimal: Schlauraffenland, Schlauraffenland
wir haben uns in deinen Einkaufszentren verlaufen

sie gleichen einander aufs Haar. in Höxter
kauft ein dickes Mädchen einen Engel aus Ton

und fragt an der Kasse: was heißt Hoffnung? in Steinheim
trinkt Hakan starken Kaffee, ihm träumte wieder
vom Honigkuchenmittelmeer, das er durchschwamm
um endlich auf den braun verschlammten

Straßen Schlauraffenlands zu stranden. in Jena
erhält ein Pfarrer nach drei Jahren Prozess

eine Geldstrafe, weil er auf einen Polizeiwagen zuhielt
um keinen Demonstranten zu überfahren.

meine Heimat, das sind nicht nur die Städte und
Dörfer, das ist auch der Türsteher davor. mir träumte

er sieht aus wie Kaya Yanar und fragt nach dem Codewort:
sag mir das Land, wo Esel silberne Nasen tragen

sags dreimal hintereinander: du kommst hier net rein
du kommst hier net rein, du kommst -

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